Theater in der Legitimationskrise? Studie von 2020 von Birgit Mandel

Wien, Akademietheater. Foto: Rainer Glaap

Gastbeitrag von Olga-Venla Krüger

„Wer ist das Publikum der Zukunft? Ist das, was wir heute tun ausreichend, um den Fortbestand von staatlichen Förderungsmaßnahmen zu erhalten?“, Fragen, mit denen sich die meisten Kultureinrichtungen auseinandersetzen. Befindet sich das staatlich geförderte Theater in einer nicht widerkehrbaren Krise, wie viele befürchten, oder handelt es sich dabei nur um haltlose Prognosen?

In diesem Beitrag stellen wir Ihnen einige Ergebnisse der neuesten Studie zur Bevölkerungserhebung von Prof. Dr. Birgit Mandel (Kulturmanagement und Kulturvermittlung im Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim) vor und eröffnen im Anschluss den Diskurs.

Als Grundlage für diese Studie dient eine empirische Erhebung, die mithilfe von 1006 Befragten unter der deutschsprachigen, wahlberechtigten Wohnbevölkerung ab 18 Jahren im Zeitraum vom 3.-22. Juni 2019 durchgeführt wurde. [1]

Zur Frage nach der Besucherfrequenz liefert die Studie keine wirklich neuen Erkenntnisse, hier hat Prof. Dr. Armin Klein [2] Jahre vorher bereits ähnliche Aussagen getroffen: [3]

„Nur 10 Prozent können zu den Vielbesucherinnen von Theatern generell gezählt werden (mit vier und mehr Theaterbesuchen pro Jahr), 31 Prozent zu den Gelegenheitsbesucherinnen (1-3 mal pro Jahr) und 59 Prozent zu den Nichtbesucherinnen. Der Anteil der »Vielbesucherinnen« nimmt mit dem Bildungsniveau und dem Alter zu. Außerdem haben Frauen eine höhere Besuchsfrequenz als Männer, die ebenso wie Niedriggebildete deutlich überproportional Nichtbesucherinnen sind. Dennoch gehören vor allem auch ältere Personen mit einfacher und mittlerer Bildung zu den häufigen Besucherinnen von Theatern, wenngleich mit niedrigeren Anteilen. Auffällig ist, dass auch bei den höher Gebildeten der jüngeren Generation knapp die Hälfte zu den Nichtbesucherinnen gehört. Die Altersgruppe 60+ mit höherer Bildung hat den mit Abstand höchsten Anteil an Vielbesucherinnen.“

Birgit Mandel stellt folgende vier Thesen in den Vordergrund ihrer Untersuchung:

„Legitimationsprobleme für Stadt- und Staatstheater können entstehen, 1. wenn nur eine kleine und schrumpfende Minderheit der Bevölkerung Interesse an Theaterangeboten zeigt und sich das kulturelle Interesse zunehmend auf andere Kulturformen richtet; 2. wenn es eine starke soziale Spaltung des Kulturpublikums gibt und Theaterangebote weitgehend nur von einer höher gebildeten und sozial eher besser gestellten Gruppe der Bevölkerung wahrgenommen werden; 3. wenn Theater im Hinblick auf ihre künstlerischen und gesellschaftlichen Leistungen nicht den Erwartungen des Publikums und der Bevölkerung entsprechen; 4. wenn die Förderungswürdigkeit von Stadt- und Staatstheatern von weiten Teilen der Bevölkerung in Frage gestellt wird.“

Für die Legitimität von Stadt- und Staatstheatern sei nicht nur relevant, wie intensiv das Theaterangebot von der Bevölkerung genutzt wird, sondern auch, inwieweit die staatliche Förderung von Theatern von der Bevölkerung für legitim gehalten wird. Die Befragten sollten u. a. abstimmen:

„Theater und Orchester erhalten rund 35 % des Geldes, welches der Staat für Kultur ausgibt. Welcher Aussage stimmen Sie eher zu?

– Der Staat sollte zukünftig weniger Geld für Theater ausgeben.
– Der Staat sollte weiterhin genau so viel Geld für Theater ausgeben
– Der Staat sollte zukünftig mehr Geld für Theater ausgeben.

Mit dem Ergebnis: „Knapp die Hälfte der Bevölkerung (49 %) ist dafür, Theater auch in Zukunft auf gleichem Niveau finanziell zu för­dern. Ein gutes Drittel (37 %) spricht sich sogar dafür aus, die Förderung zu erhöhen. Lediglich 14 % wollen den Theatern zukünftig Mittel kürzen.“

Folgendes Resümee lässt durchaus hoffen:

„Die ganz große Mehrheit der Bevölkerung (86 %) stimmt darin überein, dass Theater auch in Zukunft mindestens in bisheriger Höhe mit Steuergeldern gefördert werden sollten. Darunter finden sich beachtliche Anteile von Personen, die nicht an Theaterangeboten interessiert sind bzw. diese selbst gar nicht wahrnehmen. Selbst von der Gruppe der »Nie-Besucher/innen« wollen nur 19 % den Theatern die finanzielle Förderung kürzen. In der gesamten Bevölkerung vertreten nur 14 % diese Position. Es wird deutlich, dass selbst dann, wenn Theater für das persönliche Leben als nicht relevant erachtet werden, diesen zu erheblichen Anteilen ein gesellschaftlicher Wert zugemessen wird.“

Es bleibt die Frage nach den Erwartungen an die Aufgaben des Theaters und den Spielplan der Zukunft, mit dem Ziel, mehr Besucher*innen anzulocken. Hier liefert die Studie eher weniger aussagekräftige Ergebnisse:

„Im Hinblick auf den Spielplan stehen die Wünsche nach Stücken ganz oben, bei denen man lachen kann sowie Stücken, die für jeden verständlich sind. Deutlich seltener und jeweils etwa gleich häufig wird erwartet, dass Theater aktuelle Stücke bzw. künstlerische Experimente sowie klassische Stücke von wichtigen Autor/innen zeigen. Auffällig ist, dass nur relativ wenige sowohl in der Präsentation von aktuellen bzw. experimentellen Stücken als auch von klassischen Stücken eine »sehr wichtige« Aufgabe von Theatern sehen.“

Ausgehebelt wird diese dann durch die Erklärung:

„So halten 66 % derjenigen, die aktuelle bzw. experimentelle Stücke sehen wollen, zugleich die Aufführung von klassischen Werken für sehr wichtig oder wichtig. Und umgekehrt wollen 72 % derjenigen, denen klassische Werke sehr wichtig oder wichtig sind, zugleich aktuelle und experimentelle Stücke im Spielplan sehen. Für 42 % der Bevölkerung geht es bei der Spielplangestaltung damit nicht um ein entweder/oder, sondern um ein sowohl als auch von klassischen und aktuellen Stücken. Auch die Wünsche nach »ernsten« und »humorvollen« Stücken schließen einander nicht aus. So sind 86 % derjenigen, die klassische Stücke und 85 % derjenigen, die aktuelle Stücke auf dem Spielplan sehen wollen, zugleich für humorvolle Stücke. Und von denjenigen, die für humorvolle Stücke plädieren, erwarten zugleich 65 % auch aktuelle bzw. 61 % klassische Stücke. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung machen die »Puristen« eines ‚ernsten‘ Theaters 11 % und die »Puristen« eines humorvollen Theaters 14 % aus. In der Frage, ob Theater primär Kunst präsentieren oder darüber hinaus auch soziale Aufgaben übernehmen sollen, ist die Bevölkerung weit überwiegend einig, dass beides zu den Aufgaben von Theatern gehören sollte.“

Prof. Mandel zieht folgende Ergebnisse zu den eingangs angeführten vier Thesen:

„1 – Die vorliegenden empirischen Erkenntnisse sprechen für die These, dass die Legitimität staatlicher Förderung von Theatern dadurch gefährdet sein könnte, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung an klassischen Kulturangeboten wie Theater interessiert ist und sich das kulturelle Interesse sowie die Partizipation tendenziell auf andere Kulturformen verlagert. Diese Tendenz dürfte sich im Zuge demografischer Entwicklungen weiter fortsetzen.
2 – Obwohl sich das bestehende Theaterpublikum nicht als sozial homogene Gruppe ausschließlich höher Gebildeter erweist, ist es weit davon entfernt, die gesamte Bevölkerung in Sinne einer »Kultur für alle« zu repräsentieren. Damit bleibt die für die Legitimität der staatlich geförderten Theater problematische Situation, dass von allen Steuerzahler/innen die Theaterbesuche einer mehrheitlich höher gebildeten und vermutlich überwiegend sozial besser gestellten Minderheit der Bevölkerung subventioniert werden.
3 – Die von großen Mehrheiten geäußerten Erwartungen an ein sowohl vielfältiges wie unterhaltsames Programm, das für viele Menschen zugänglich ist, können als Indikator dafür gelten, dass Theater als persönlich und/oder gesellschaftlich wertvolle Institution betrachtet werden. Zugleich verweisen die von vielen wahrgenommenen institutionellen Barrieren für den Theaterbesuch und vor allem auch das häufiger geäußerte persönliche „Desinteresse“ auf Begrenzungen der Legitimität von Stadt- und Staatstheatern in der Bevölkerung. Nach diesen Ergebnissen könnten Theater an Legitimität verlieren, wenn sie sich ausschließlich an dem Ziel orientieren würden, in Fachkreisen anerkannte Kunst zu produzieren und die unterhaltungsorientierten und sozialen Dimensionen von Theater ignorieren würden.
4 – Für den Rückhalt der Stadt- und Staatstheater in der Bevölkerung ist wesentlich, inwieweit nicht nur diejenigen die staatliche Förderung unterstützen, die durch häufige Besuche einen persönlichen Nutzen aus den subventionierten Theaterangeboten ziehen, sondern auch theaterferne Bevölkerungsgruppen. Das Ergebnis zeigt, dass die Legitimität der Stadt- und Staatstheater derzeit von der weit überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, unabhängig von der eigenen Nutzung, nicht infrage gestellt wird.“

Auch bei der Untersuchung der Gründe für den Nicht-Besuch überraschen die Ergebnisse nicht sonderlich:

„Als Hauptgrund für den Nicht-Besuch oder nicht häufigeren Besuch von Stadt- und Staatstheatern wird »mangelnde Zeit« (36 %) am häufigsten genannt, erst dann folgt »mangelndes Interesse« (28 %), was ein Zeichen für die soziale Erwünschtheit von Theaterbesuchen sein könnte. Mit Abstand werden mit jeweils 12 Prozent die institutionelle Barrieren »zu teuer« und »begrenzte Auswahl bzw. mangelnde Qualität« angeführt.“

Auf die Fragen, wie bzw. durch welche Maßnahmen oder politischen Förderprogramme beispielsweise Theater ihre Besucherfrequenz aufwerten könnten, geht Birgit Mandel leider nicht konkret ein, hier ist lediglich ein Appell herauszulesen. Esther Slevogt (nachtkritik.de) hat sich kritischer mit der Studie auseinandergesetzt. Lesen Sie den kompletten Artikel von Esther Slevogt hier.

Die gesamte Studie von Birgit Mandel finden Sie hier im Open-Access-Format.

[1] Mit Unterstützung durch ein Meinungsforschungsinstitut hat das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim dazu eine telefonische Repräsentativbefragung durchgeführt.

[2] „Klein, Armin (Erstauflage 2008). Besucherbindung im Kulturbetrieb. Ein Handbuch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH.“

[3] Die nachfolgenden Zitate stammen direkt aus „Mandel, Birgit (2020). Theater in der Legitimitätskrise? Interesse, Nutzung und Einstellungen zu den staatlich geförderten Theatern in Deutschland – eine repräsentative Bevölkerungsbefragung. Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim.“ Bei der Untersuchung der in der Studie zu Grunde gelegten Daten setzt sie den Schwerpunkt auf die Bezüge der soziodemografischen Daten Alter, Geschlecht, formaler Bildungsabschluss, Personen im Haushalt, Personen unter 18 Jahre im Haushalt, Bundesland sowie Wohnortgröße. Die gesamte Studie befindet sich hier als E-Publikation (Open Access) zum Nachlesen: https://doi.org/10.18442/077.

Erstmals erschienen am 18.02.2020 im Eventim.Inhouse-Blog