Besuchstrends USA 1982 – 2022

Dall-E: Galeriebesucher:innen

Die US-amerikanische Sängerin, Strategie und Kulturberaterin Ruth Hartt hat sich letzthin die Mühe gemacht, die kulturellen Eckdaten für die USA aus dem Fundus des National Endowment for the Arts (NEA) zusammenzustellen und sie mit der Entwicklung der Besuchszahlen seit 1982 im Sport, im Kino und der Internet-Nutzung (ab ca. 2002) zu vergleichen. Sie vergleicht die Daten mit den Besuchszahlen in 2022. Die Pandemiezahlen sind ähnlich dramatisch wie in Europa, auch für die USA muss man sehen, ob und wie die Zahlen sich wieder erholen. Da die Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins für die Spielzeit 2021/22 vermutlich erst im kommenden Frühjahr erscheinen wird, gibt es für Deutschland noch keine Vergleichszahlen.

Wie genau die Zahlen sind, kann ich nicht beurteilen. Es handelt sich um eine Bevölkerungsbefragung, die quasi von Natur aus zu ungenauen Ergebnissen neigt. Gefragt wurde z. B. in 2017:

“The Survey of Public Participation in the Arts in 2017, administered in July 2017, examined American adults‘ participation in the arts and other leisure activities. Most SPPA questions asked about arts participation in the last 12 months. A total of 147,629 U.S. adults responded. If the selected respondent had a spouse or partner, then the respondent answered questions on behalf of their spouse/partner.

The 2017 SPPA included two core components: a questionnaire used in previous years to ask about arts attendance and literary reading, and a newer survey about arts attendance, venues visited, and motivations for attending art events. In addition, the SPPA supplement included five modules designed to capture other types of arts participation as well as participation in other leisure activities. Questions included items on the frequency of participation, types of artistic activities, training and exposure, musical and artistic preferences, school-age socialization, and computer and device usage related to the arts.” (Zahlen der NEA finden sich auf deren Website)

Angegeben wird ein Prozentsatz der Bevölkerung, der Veranstaltungen der angegebenen Genres besucht hat.

Ich greife hier die performativen Künste auf, zuerst das Ballett. Leider sind keine Zahlen für die Prozentsätze angegeben, aber im Vergleich zu den anderen Genres war die Besuchszahlen im Ballett schon immer auf niedrigem Niveau und sind von dort noch weiter gesunken.

Quelle: Alle Grafiken stammen aus einer Präsentation von Ruth Hartt (Downloadlink am Ende des Beitrags)

Die Besuche bei Konzerten klassischer Musik hat sich geschätzt halbiert:

Musicalbesuche sind geschätzt um 7-10% gesunken:

Opernbesuche sind in 2022 praktisch zum Erliegen gekommen.

Und Theaterbesuche haben sich dem Anschein nach auch fast halbiert.

Um einen klaren Blick auf die vorpandemischen Zahlen zu haben, hat Ruth Hartt noch diese Grafik bereitgestellt, hier beziehen sich alle Zahlen auf die Differenz zwischen 1982 und 2017. Klar erkennbar ist nur ein einziger positiver Trend: der Besuch von Kunstmuseen und Galerien. Größte Verlierer waren Klassische Musik, Oper, Ballett und Theater.

Wie die Zahlen sich für Deutschland (BRD u. DDR) seit 1949 entwickelt haben, habe ich für mein Buch „Publikumsschwund?“ aufgearbeitet, das im Frühjahr 2024 bei Springer VS erscheinen wird.

Quelle: “Audience Trends from 1982 – 2022” (PDF), culturforhire.com

Gegenteilige Meinungen

Mein Lieblings-Kaffeehaus in Wien: das Hawelka
Quelle: KF at English Wikipedia, Public domain, via Wikimedia Commons

Der Wiener Standard hat die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler und den Kulturmanager Fabian Burstein um eine Einschätzung der Lage in den österreichischen Theatern gebeten.

Zwei sehr gegensätzliche Meinungen prallen aufeinander.

Veronica Kaup Hasler ist optimistisch und fordert Unaufgeregtheit und Mut. „Besucherschwund“ sei das Unwort des Jahres. Viele Menschen hätten sich noch nicht vom Ausnahmezustand verabschiedet und würden den öffentlichen Raum und Kulturinstitutionen weiter meiden.

Angesichts dieser Realität braucht es Unaufgeregtheit, Kreativität und Mut zum Risiko – vonseiten der Veranstalter ebenso wie vonseiten des Publikums und auch der Kritik: Die derzeit tretmühlenartig wiederholte „Analyse“, früher sei – bevorzugt an den heimischen Sprechtheatern – alles besser gewesen und das Problem mit dem fehlenden Publikum sei hausgemacht: Sie greift zu kurz.

Fabian Burstein* ist eher pessimistisch und sieht eine Verweigerungshaltung bei Kultur und Kulturpolitik. Die Theater seien von der Krise überrollt worden. Allerdings hätten sich die Zustände längst abgezeichnet, die Theater hätten sich aber wohl auf eine längere Schonfrist eingestellt. Die Kultur könne zur „Triebfeder des gesellschaftlichen Wandels“ werden. Könne, denn:

Hier beginnt das eigentliche Versagen von Kulturmanagement und Politik, das in seiner Renitenz doch ein bisschen beschämend ist. Publikumsschwund und Relevanzverlust werden als schicksalhafte Konsequenz „äußerer Umstände“ eingeordnet – so, als ob vorher alles gut gewesen wäre. Die Parole lautet: aussitzen. Theater hat Long Covid, sagen die Verantwortlichen, und legitimieren damit eine Verweigerungshaltung, die den Kulturbetrieb als Sinnbild für Fortschritt und Aufklärung ad absurdum führt.

Quelle: „Für und Wider: Stecken die Theater in der Krise?„, Der Standard (Wien), 22.2.2022

*Fabian Burstein hat erst kürzlich die Streitschrift „Eroberung des Elfenbeinturms“ mit Forderungen für eine bessere Kultur (vor allem in Österreich) veröffentlicht. Eine Rezension hier im Blog ist geplant.