Relevanzmonitor Kultur der Bertelsmannstiftung erschienen

Relevanzmonitor Kultur, Bertelsmannstiftung 2023

Das Liz Mohn Center der Bertelsmannstiftung hat unter der Leitung von Dorothea Gregor einen Relevanzmonitor Kultur erstellt. Die Fragestellung: welche Relevanz hat Kultur in Deutschland?

Durchgeführt von Forsa unter Beratung des IKTF (s. z.B. hier und hier) wurden im März und April diesen Jahres ca. 2.500 Bundesbürger befragt.

Die Ergebnisse im Fazit der Stiftung:

91 Prozent der Menschen in Deutschland ist es wichtig, die kulturellen Angebote in Theaterhäusern für kommende Generationen zu erhalten. […] Vier von zehn jungen Erwachsenen haben jedoch das Gefühl, das Angebot richte sich gar nicht an sie. Sie fühlen sich vor Ort fehl am Platz. 

Weiter heißt es:

Sowohl in der gesamten Bevölkerung als auch in der Generation der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren interessieren sich zwei Drittel gar nicht oder weniger stark für Theateraufführungen, klassische Musikkonzerte, Oper-, Ballett- und Tanzaufführungen. Vier von fünf Befragten gaben an, klassische Angebote wie diese in den letzten zwölf Monaten gar nicht wahrgenommen zu haben.  

37 Prozent der Befragten waren noch nie in einem klassischen Musikkonzert oder in einer Oper-, Ballett- oder Tanzaufführung (Theateraufführungen: 10 Prozent). Viele 18 bis 29-Jährigen haben das Gefühl, das Angebot richte sich gar nicht an sie (43 Prozent) – sie fühlten sich dort fehl am Platz (39 Prozent).

Quelle: Bertelsmann-Studie, Download-Link s. u.

Oper-, Ballett-, Tanzaufführungen, Klassische Musikkonzerte und Theateraufführungen führen die Liste an – von unten, und das ganz unabhängig vom Alter (an dritter Stelle von unten stehen noch die Freizeitparks, dort ist ein signifikanter Unterschied bei den 18-29-Jährigen zu erkennen). Dabei wird nicht einmal nach tatsächlichen Besuchen gefragt, sondern nach dem Interesse – was einen Bias in der Fragestellung anzeigt, möglicherweise wird hier eher danach geantwortet, was die Befragten für sozial erwünscht halten.

85% der Befragten wünschen sich mehr Inhalte für Kinder und Jugendliche (die wurden aber nicht selbst befragt, die Umfrage richtete sich an Personen über 18). Möglicherweise gibt es mehr Angebote, als die Befragten auf dem Schirm haben – und: sie fragen nicht für sich selbst, sondern für andere …

Immerhin ist mit 91% die große Mehrheit der Befragten der Meinung, dass die Angebote für kommende Generationen erhalten bleiben sollten, ganz unabhängig von ihrem Besuch. Das bestätigt Ergebnisse auf früheren Untersuchungen (Mandel, 2021). Auch wenn ein Drittel der Befragten der Meinung ist, das Angebot richte sich nicht an Menschen wie sie selbst (bei den 18-29-Jährigen ist es fast die Hälfte).

Der Großteil der Befragten (89%) findet eine sozial ausgewogene Preisgestaltung wichtig und sehr wichtig, über 60% wünschen sich klassische Stücke und ebenfalls über 60% wünschen sich, dass das Theater gesellschaftliche und politische Diskussionen anstößt.

Künstlerische Experimente wünschen sich 60% der 18-29-jährigen, aber nur 33% der über 60-jährigen.

91% finden es wichtig u. sehr wichtig, dass Theaterhäuser zur kulturellen Bildung von Kindern und Jugendlichen beitragen (Anm.: Das kann nur flankierend zur Bildung in der Schule stattfinden, wo der Musikunterricht seit vielen Jahren sträflich vernachlässigt und z. B. in Grundschulen häufig von fachfremden Lehrer:innen unterrichtet wird).

Spannend ist der Fragenblock, der sich damit beschäftigt, was getan werde müsse, damit die Befragten häufiger ins Theater gehen.

An erster Stelle steht: es müsse mehr Angebote geben, die die Befragten interessieren. Offen ist die Frage, ob die Befragten die Angebote kennen, insbesondere die Jüngeren stechen hier deutlich mit 51% heraus (Google ist immer nur einen Klick entfernt). An zweiter Stelle steht der Wunsch nach mehr Freizeit, den können Theater nicht befriedigen (das betrifft eher die Befragten mit einem Nettoeinkommen >4.500€). An dritter Stelle folgt der Wunsch nach günstigeren Preisen (deutlich eher bei den Befragten mit einem Nettoeinkommen <1.500€). (Anm: In anderen Untersuchungen wird häufig festgestellt, dass Befragte die Preise eher nicht kennen oder zu hoch einschätzen. In dieser Untersuchung wurde das wohl nicht abgeglichen.)

Eine Minderheit von 11% fordert ein qualitativ besseres Angebot (was immer das sein könnte) und 19% sind durch nichts zu interessieren.

Diversität und fremdsprachige Angebote
Erstaunlich, dass nur 13% sich diversere Angebote wünschen und gar nur 2% Angebote in anderen Sprachen bzw. inklusivere Angebote für Hör- und Sehbehinderte (auch Ü60 nur mit 3%).

Beim Erwerb von Tickets gibt es die klare Präferenz, Tickets online zu kaufen, selbst bei den Ü60 liegt der Wert bei 83% (gesamt: 89%).

Abonnements (in diesem Blog z.B. hier und hier behandelt), spielen eine untergeordnete Rolle: nur noch ein Viertel der Befragten äußert Interesse, auch die Ü60 liegen mit 34% nur wenig darüber:

Quelle: Bertelsmann-Studie, Download-Link s. u.

Einige der Ergebnisse sind erstaunlich: 29% wünschen sich die Möglichkeit, bei der Spielplangestaltung mitwirken zu können und 13% legen Wert auf Stücke, bei denen man spontan mitmachen kann.

Fazit und Handlungsempfehlungen (auf der Website der Bertelsmann-Stiftung):

  1. Zielgruppen besser kennen und ansprechen
  2. Sich öffnen und vernetzen
  3. Marketing „sozial und modern“ gestalten*

Die Ergebnisse der Untersuchung werden ausführlich im Podcast „Alles klar, Klassik?“ von Dorothea Gregor und Axel Brüggemann behandelt.

Ergänzungen und Anmerkungen (1.6.2023):

Die Umfrage soll alle 2 Jahre wiederholt werden, um Entwicklungen besser aufzeigen zu können.

Das Medienecho ist schon am Tag nach Erscheinen der Studie gewaltig: viele Zeitungen und Online-Portale berichten (Google).

Der Begriff „Theaterhäuser“ hat mich irritiert. Das ist nicht der Standardbegriff für Stadt- und Staatstheater (z. B.), die hier wohl überwiegend gemeint sind. Wobei es neben denen in vielen Kommunen Privattheater, Komödien u.a. Veranstalter gibt, die ebenfalls Theateraufführungen anbieten, häufig auch das von vielen Befragten (85%) gewünschte Theater „zum Lachen“.

* Zum Erfolg von Social Media als Marketing-Kanal habe ich da meine Zweifel, es geht m.E. mehr um Relevanz und Repräsentanz.

Quelle: Enormer Rückhalt für Kulturangebote in Deutschland. Bertelsmann Stiftung, 30.5.2023, Download als PDF

3 Kommentare zu „Relevanzmonitor Kultur der Bertelsmannstiftung erschienen

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